Archiv & Kommentare
Bitola

Oh! Rid!

Copyright: Fritz Niemann
An diesem Binnenmeer zwischen Makedonien und Albanien geht es im Sommer zu, wie an der Rivieraküste. Der Makedonengrill sozusagen. Auch wir grillten und aßen Gegrilltes - es war wunderschön, doch Wien hat mich bereits wieder. Der Baum hat Eier gelegt.
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Von oben

Copyright: Fritz Niemann
Endlich mal wieder in Bitola: so sieht die Stadt vom Romaviertel gesehen aus, das von der Feuerbrunst, die Bitola neulich bedrohte und die umliegenden Wälder dezimierte, arg in Mitleidenschaft gezogen wurde.
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Wann wird die Sonne zum Stern?

Copyright: Fritz Niemann
Auf der gestrigen Konferenz und auch heute, dem Europatag, interessierte die meisten Menschen in Bitola vor allem eines: wann wird die auf der Staatsflagge befindliche makedonische Sonne zum Stern auf der EU-Flagge. Beantworten wollte diese Frage Erwan Fouéré (unten im Bild links), Sondergesandter der Europäischen Union in Makedonien nicht. Auch Frédéric de Man, die niederländische Botschafterin, erzählte lieber über Belgier, die zum Parazetamolkauf in die benachbarten Niederlande fahren, um Geld zu sparen und Deutsche, die die niederländischen Coffeshops besuchen. Überhaupt sprach sie viel über die Vorzüge eines Europa ohne Grenzen und man merkte, wie sehr die Menschen hier sich das auch wünschen. Nur, ein konkretes Datum nannte keiner der auf dem Podium Sitzenden, was für Unmut sorgte. Nachdem alle Sondergesandte und Botschafter ihre mehr oder weniger gut gehaltenen Reden vorgetragen hatten, folgte eine Fragerunde. Was dabei auffiel: es sind offensichtlich vor allem die Frauen, die sich hier politisch engagieren. Copyright: Fritz Niemann
Ausser einer von einem männlichen Gast vorgetragenen Brandrede gegen Griechenland und deren Vereinnahmung des makedonischen Erbes inklusive Alexanders des Großen sprachen drei Vertreterinnen verschiedener Frauen-NGOs, die vor allem gegen häusliche Gewalt kämpfen. Am heutigen Europatag feierte vor allem die Jugend Bitolas vor der Moschee, was ich mir als Alptraum jedes guten CSU-Politikers vorstelle. Und Erwan Fouéré zeigte, was einen wirklich guten Diplomaten ausmacht. Nach seiner Rede folgte eine Gesangseinlage von jungen Bitolanerinnen. Dass er es schaffte, während dieses Vortrags in den vorderen Reihen stehen zu bleiben und dazu noch ein zufriedenes Gesicht zu zeigen, kann man nur bewundern. Aber sehen (und hören!) Sie selbst:
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Ich fühl mich heut so kopflos

Copyright: Fritz Niemann
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Tod beim Promirennen

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Das Gumball 3000 ist ein jährlich stattfindendes, illegales Straßenrennen, das in London startet und an dem zahlreiche Prominente wie Paris Hilton und Sharon Stone teilnehmen. Am heutigen Freitag sollte die Luxusauto-Rallye Berlin erreichen. Dieses Jahr führte die Route auch durch Makedonien und leider kam es zu einem tödlichen Zwischenfall. Die beiden Briten Nicolas Morley und Matthew Convell rasten mit ihrem Porsche auf der Landstraße von Struga nach Quafasan. Der Porsche der beiden Briten überquerte den Mittelstreifen und es kam zur Frontalkollision mit einem VW-Golf aus Ohrid. Der 67-jährige Vladimir Cepuljoski erlag kurz nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus seinen schweren Verletzungen, seine Frau Margarita ist in kritischem Zustand. Die beiden Briten versuchten, mit einem BMW ins benachbarte Albanien zu fliehen, konnten aber von der Polizei am Grenzübergang gestoppt werden und sitzen jetzt in U-Haft, wo sie hoffentlich lange bleiben werden. Immerhin haben die Organisatoren des Rennens die Rallye aus Respekt vor dem Opfer nun abgesagt.

Das Bitolablog meldet sich später wieder mit hoffentlich erfreulicheren Meldungen - heute steht endlich wieder eine der beliebten Konferenzen im Hotel Epinal auf dem Programm, auf die ich Lisa in meiner Rolle als Dennis Thatcher begleiten darf.
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Kühle

Copyright: Fritz Niemann
In Nordeuropa scheint der Klimawandel voll durchzuschlagen, in Bayern wird man bald Chianti anbauen und Lappland wird zur Wüste - an Bitola geht diese Entwicklung vorbei. Hier ist es ohne Pullover kalt, es ist regnerisch und wir wärmen uns am "Diplomat". Darüber wundern tut sich keiner. Eher schon darüber, dass es im vergangenen Winter nicht minus vierzig Grad kalt war, sondern nur minus zehn. Man sagt, dass über keine Stadt der Welt so viele Lieder geschrieben wurden, wie über Bitola. Da die schöne Stadt einmal nach Belgrad die wichtigste auf dem Balkan war und die Eisenbahnen von der serbischen Metropole nach Konstaninopel in Bitola Zwischenstation machten, entstanden die meisten dieser Lieder in Bitolas Blütezeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Hier eine Kostprobe:

Bitola Babam Bitola
 
Bitola, Babam Bitola,
Dort kann man ein Leben leben,
Dort kann man ein Leben leben,
dort isst und trinkt man.
 
Bitola - Landschaft im Mai,
Bitola - goldener Garten,
Mit wundervollen schönen Mädchen
Im Gesicht rot und weiß
 
Bitola, Babam Bitola
Wer hat dich dazu verdammt,
dass du so schöne Mädchen hast,
dass alle Junggesellen verrückt nach ihnen sind.

Bитола Бабам Битола
 
Биотла, бабам Битола,
Таму се живот живее.
Таму се живот живее,
Таму се јаде и пие.
 
Битола - мајска природа,
Битола златна граднина.
Со лични моми убави,
На лице бели црвени.
 
Битола, бабам, Битола,
Кој ми те толку проколна,
Да раѓаш моми убави,
да лудат сите беќари.
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1. Mai

Copyright: Fritz Niemann
Während in Berlin wieder unschuldige Vermummte von der Polizei angegriffen wurden, saß ganz Makedonien am ersten Mai am Grill - so wie wir auch. Lisas Mitarbeiterin Rozita und ihr Mann Dado nahmen uns mit in das Dorf, in dem Dados Urgroßeltern, Großeltern und Eltern aufgewachsen waren, wo wir einen sehr entspannten Tag mit Ivan, Mamun, dem Affen, Ivana, Pavlo, Cak und den Anderen verbrachten. Dados Bruder bediente virtuos den Grill und es war schwer, mich den ständigen Aufforderungen zur Teilnahme an den zahlreichen Rakijarunden zu widersetzen. Woran ich mich immer noch nicht gewöhnen kann, dass man das Feuerwasser hierzulande als Aperitiv zu sich nimmt. Aber da Dados Opa den Rakija gebrannt hatte, war Widerstand zwecklos.
Copyright: Fritz Niemann
Mit Mamun, genannt "der Affe", machte ich eine ganz neue Erfahrung. Wir unterhielten uns gute zwei Stunden, ohne dass ich ein einziges Wort verstanden habe. Seine ohnehin rudimentäres Englisch wurde durch die permanente Rakijazufuhr noch unverständlicher - trotzdem waren wir weitestgehend einer Meinung. Was ich verstand war, dass das Dorf, in dem wir uns befanden, im zweiten Weltkrieg von den Nazis besetzt war und dass diese von den Partisanen aufgemischt wurden. Jedenfalls verbrachten wir einen sehr schönen und entspannten Tag und kehrten gestern abend nach Bitola zurück, um dort wieder mal unseren - "Diplomat" genannten - Kamin zu entfachen. Es ist seltsam, nach dem Münchener Dauersommer wieder zu frieren. Schön ist es, wieder hier zu sein.
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Endlich zurück nach Bitola

Copyright: Fritz Niemann
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A bientôt, Bitola

Copyright: Fritz Niemann
Folgt man der Strasse von Bitola ins griechische Makedonien, erreicht man nach 15 Kilometern die Grenze. Eine richtige Grenze mit Niemandsland und allem Drum und Dran, Passkontrollen und Zöllnern, die schlechtgelaunt in engen Kabinen sitzen. Und was steht genau an dem Punkt, an dem Griechenland beginnt? Eine riesige Statue von Alexander dem Großen. Gleich mal zeigen, wer der Herr im Hause ist. Nach der Grenze wird die zweispurige, makedonische Landstrasse zu einem EU-finanzierten, sechsspurigen griechischen Highway, auf dem wir entspannt in Richtung Meer fuhren. Nach drei Stunden kamen Kristian, Slobodan, Lisa und ich an Thessalonikis Flughafen an, der Makedonia Airport heisst - Makedonien ist überall. Ich werde Bitola nun für ein paar Wochen verlassen.
Copyright: Fritz Niemann
Nach meiner Rückkehr geht es hier weiter. Es fällt mir schwer, Lisa und die freundlichen Menschen Bitolas zurückzulassen. Doch schon bald kehre ich - und das Bitolablog - zurück und dann gibt es weitere Geschichten von Louis "the Fly", der Furie, dem einäugigen Pilzgelehrten, Professor Igor, Professor Dragan, der singenden Putzfrau, Emir, der Caitnot, Philip und Wera und allen Anderen.

Bis dahin alles Gute! Schalten Sie wieder ein, wenn es Bitolatime ist...

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Hämischer Blick und Abschied von der Mouse

Copyright: Fritz Niemann
In der ersten Folge der Weinprobe hatten der "Popov" noch so gut abgeschnitten. Auch gestern sollte er unser Menü begleiten - daraus wurde leider nichts. Mir ist ja schon viel passiert, aber dass der ganze Flaschenhals abbricht, kam noch nicht vor. Das hämische Grinsen des Korkenziehers steigerte meinen Ärger noch. Und ich bin mir sicher: genau das wollte er damit erreichen. Morgen fahren wir nach Thessaloniki, der Geburtsstadt Atatürks, wieder mit Kristian und Slobodan, wieder durch Nordgriechenland, das auch Makedonien heisst, und für mich heisst es, eine Weile Abschied zu nehmen von meiner digitalen Heimstatt, dem Mouse-Caffe. Ciao, Glushez!
Copyright: Fritz Niemann
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Eine Furie, wie verwandelt

Copyright: Fritz Niemann
Bitola ist nicht sehr groß und so war es nicht sehr verwunderlich, dass in der Apotheke um die Ecke plötzlich die alte Dame stand, die uns während unserer Begegnung mit Louis "the Fly" so unflätig beschimpft hatte. Dieses Mal wussten wir, was zu tun war und Lisa gab ihr 100 Denar für die Armen der Stadt. Unsicher warteten wir ab, was folgen würde - war das genug? Sollten wir uns auf einen weiteren Tobsuchtsanfall einstellen? Doch - es blieb friedlich, die reife Dame, die sich beim vergangenen Treffen noch so furiengleich benommen hatte, war nun zahm wie ein Lamm und küsste uns die Hand, wozu sie sich ja praktischerweise nicht mal herunterbeugen muss. Ein paar Stunden später sah ich, wie sie in einem der zahlreichen Cafés auf dem Marsal Tito einen Gast zusammenschrie. Zielstrebig ist sie, das muss man ihr lassen.
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Maskenball und der einäugige Pilzgelehrte

Copyright: Fritz Niemann
Gestern war in Bitola - wie an jedem ersten April - Maskenball. Seltsamerweise ist das Wort in die makedonische Sprache eingegangen. Lange waren die Habsburger nicht hier, es scheint gereicht zu haben, um den Maskenball und den Apfelstrudel mitzubringen. Vor allem unter den jungen Bürgern Bitolas gab es gestern einige Scheichs, viele Prinzessinen und noch viel mehr Supermans und Batmans. Wir entzogen uns dem Trubel und fuhren nach Prilep, ungefähr vierzig Kilometer nördlich von Bitola gelegen. Prilep heisst in der deutschen Übersetzung "die Wunderschöne" und zumindest auf die Lage der Stadt trifft das zu: sie liegt am Fuße einer surrealen Felsformation, auf deren Spitze sich die Festung des legendären Königs Marko gefindet. Marko - der im Volksepos 160 jahre alt wurde - erwarb sich seinen legendären Ruf, weil der den anstürmenden Osmanen lange trotzen konnte - nicht lange genug, denn 1394 eroberten sie Festung und Stadt dennoch und blieben dann fünf Jahrhunderte lang im Lande. Wir verzichtenen auf den Genuss der lokalen Spezialität mit Namen Sirden: Lammeingeweide, gefüllt mit Kalb, Hammel und Schwein und machten uns auf den Weg in Richtung Fels.
Copyright: Fritz Niemann
Der Weg führt durch den Stadteil Varos, neben uns grasten friedlich Pferde und Esel und nach einiger Zeit erreichten wir zunächst das Kloster Sveti Mahail Arhangel, mitten im Berg gelegen. Im Kloster leben offenbar einige Nonnen, die ihr Einsiedlerleben jedoch hinter verschlossenen Türen führen, so dass wir sie leider nicht zu Gesicht bekamen. Dafür gibt es - versteckt hinter einer kleinen Tür im Hof - einen Trinkwasserbrunnen, an dessen kühlen Nass man sich mit Hilfe eines langstieligen Löffels laben kann. Die Aussicht auf Prilep und das umliegende Land war im strahlenden Schein der Nachmittagssonne so prächtig, dass wir den Anstieg zur Festung auf den nächsten Besuch verschoben. Kurz wurden wir dann von einem Esel gejagt, der sich losgerissen hatte, aber das Tier hatte offensichtlich auch nur den Wunsch, aus seinem ihm von seinem Besitzer zugedachten Radius von zehn Metern auszubrechen und die Aussicht zu geniessen. Jedenfalls blickten ihm seine Gefährten leicht wehmütig und neidvoll nach. Wir machten uns langsam auf den Weg zurück und mir fiel auf halber Strecke ein Haus und ein Schild mit einigen Abbildungen von Pilzen auf. Davor saßen ein rauchender Greis und ein Pitbull. Nun - die Verständigung war schwierig, aber nach einiger Zeit rief der Greis seinen Sohn und der Pitbull hatte offenbar auch keine Einwände gegen unseren Besuch. So lernten wir den einäugigen Pilzgelehrten kennen, der uns in seine Stube bat.
Copyright: Fritz Niemann
Jovan Jovceski handelt mit allem, was Namen wie Botetus Edulis, Morchella rotunda oder Cantharellus cibarius fries trägt. In seinem kleinen Laden standen die Pilze - frisch und getrocknet - gleich säckeweise herum. Da er Handel mit einer Firma aus Palermo treibt, konnte er einige Brocken italienisch und erklärte uns mit Begeisterung, dass er als Agraringenieur einer Art Pilzgelehrter sei und wir der Qualität seiner Produkte bedingungslos vertrauen könnten. Dabei durchbohrte uns der Bick seines starr gewordenen rechten Auges. Leider hatte er keine Pfifferlinge, da die erst Ende Mai so weit sind und so entschieden wir uns für ein halbes Kilo der Sorte Botetus Edulis, die ihren Lebenszweck gestern Abend in einer Steinpilzpasta erfüllten. Jovan hatte nicht zu viel versprochen und beim nächsten Prilep-Besuch werden wir garantiert wieder bei ihm vorbeischauen - jedenfalls wenn der Pitbull in so aufgeräumter Stimmung ist, wie gestern.
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Der lange Weg nach Brüssel

Copyrigth: Fritz Niemann
Antonio Miloschoski ist Jahrgang 1976 - und bereits Außenminister Makedoniens. Im Februar dieses Jahres hielt er auf der Jahrestagung der Deutschen Südosteuropa-Gesellschaft in Duisburg eine Rede, in der er erwähnte, daß ein baltischer Kollege ihm geraten hätte, anstelle des Makedonien von den Griechen aufgezwungenen Namenskürzels "FYROM" (Former Yougoslav Republic of Macedonia) doch besser "FEROM" zu verwenden (Future European Republic of Macedonia). Schöner klingt zwar auch das nicht, dennoch beschreibt es die Zielsetzung der makedonischen Außenpolitik und auch den Wunsch der meisten Einwohner des Landes sehr gut: Makedonien soll EU-Mitgliedsstaat werden, besser heute als morgen. Warum auch nicht? Im Gegensatz zu anderen Balkanstaaten wie Serbien oder Kroatien gibt es keine flüchtigen Kriegsverbrecher, die nach Den Haag überstellt werden sollen und die sich mit Hilfe der jeweiligen Regierungen diesem unangenehmen Gang entziehen können. Auch als Aggressor hat sich Makedonien in den kriegerischen 1990-er Jahren nicht hervorgetan und die im Jahre 2001 kurzzeitig aufflackernden Unruhen waren wohl weniger ein Aufstand einer unterdrückten albanischen Minderheit, sondern ein Überfall kosovarischer UCK-Terroristen auf das friedliche Makedonien. Und welches Land in Europa hat schon eine Verfassung, die sogar den Roma eine lokale Selbstverwaltung zubilligt?
Copyrigth: Fritz Niemann
Im sogenannten Ohridabkommen, das 2001 als Reaktion auf die ethnischen Auseinandersetzungen geschlossen wurde, sind die Minderheitenrechte im multiethnischen Schmelztiegel Makedonien gestärkt worden. In Frankreich heisst Fruchtsalat übrigens "une Macédoine de fruits". In allen Gebieten, in denen mehr als zwanzig Prozent der Einwohner eine andere Muttersprache als makedonisch sprechen, muß diese Sprache (zumeist die albanische) als offizielle Zweitsprache verwandt werden. Diese Schritte wurden von Brüssel im Jahr 2001 honoriert und Makedonien schloss als erstes Land der Region ein Stabilisierungs- und Assozierungsabkommen mit der EU. Seitdem ist aber nicht viel passiert und Makedonien drängt vor allem darauf, dass die lästige Visapflicht für Reisenden in die EU abgeschafft wird. Ein Makedone, der - sagen wir - nach Deutschland reisen möchte, muss sich in einer langwierigen und teuren Prozedur ein Visum besorgen, dafür zweimal nach Skopje reisen, nachweisen, dass er von jemandem eingeladen wurde, zusichern, im Falle einer Erkrankung alle Kosten selbst zu tragen und vieles mehr. Bei einer Arbeitslosenquote von rund vierzig Prozent und einem durchschnittlichen Monatslohn von 200 Euro können sich viele diese Prozedur ganz nicht leisten und bleiben deshalb zu Hause.
Copyright: Fritz Niemann
Die im vergangenen Jahr neu gebildete Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, das Justizwesen zu reformieren und gegen die blühende Korruption vorzugehen - das scheint auch nötig. Eines der Hauptprobleme ist der Nepotismus (Bist Du nett zu mir, bin ich nett zu Dir, warst zu mal nett zu meinem Vater und bin ich Polizist, so reicht ein Anruf und ich reisse Deinen Strafzettel durch, bist Du so nett und tust mir diesen Gefallen, so kann ich Dir einen Job besorgen etc.). Aber den gibt es in - beispielsweise - Italien genauso und Italien ist auch in der EU. Auch Lisa ist mit diesem Phänomen im Rahmen ihrer Arbeit hier schon des Öfteren in Kontakt gekommen, hat sich bislang aber ganz gut dagegen wehren können. Die Regierung scheint es jedenfalls durchaus ernst zu meinen mit ihren Reformbemühungen: die in allen gastronomischen Einrichtungen eingerichteten Nichtraucherzonen sind zwar nichts als ein besserer Witz, da man immer freundlich darauf hingewiesen wird, daß man selbstverständlich trotzdem rauchen könne, aber bitte in eine Untertasse aschen möge (weshalb, habe ich immer noch nicht herausgefunden). Der Verkauf selbstgebrannter Filme scheint mittlerweile auch nicht mehr legal zu sein, denn leider ist Emirs Schrank seit einem kurzen Besuch der lokalen Streifenpolizisten mittlerweile leer - das Land nähert sich den EU-Standards an. Manchmal weiss man aber gar nicht, ob das überhaupt so wünschenswert ist.
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Schwierige Namensfindung

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Makedonien rief als dritte Teilrepublik des ehemaligen Jugoslawien - nach Kroatien und Slowenien - im November 1991 seine Unabhängigkeit aus. In einem Referendum im September 1991 stimmten 68 Prozent der Einwohner für die Loslösung und machten somit den Weg frei. Makedonien ist übrigens die einzige der ehemaligen Teilrepubliken, die diesen Weg ohne Blutvergießen gegangen ist. Das kleine Land sollte auch schnell von der UNO anerkannt werden - doch dazu kam es zunächst nicht. Denn die Griechen hatten etwas dagegen. Sie befürchteten, daß Makedonien territoriale Ansprüche auf die gleichnamige Provinz im Norden Griechenlands stellen könnten. Und so kam es dazu, dass Makedonien erst 1993 als FYROM (= Former Yougoslav Repucblic of Macedonia) offiziell als UNO-Mitgliedsstaat anerkannt wurde. Dieses Namenskürzel finden die Makedonier natürlich nicht so schön, was mehr als verständlich ist. Der Namensstreit dauert bis zum heutigen Tag an und viele Griechen bezeichnen Makedonien etwas abschätzig als "Republic of Skopje". Auf Drängen der griechischen Regierung musste Makedonien auch noch seine Staatsflagge ändern. So wurde aus dem zunächst verwendeten "Stern von Vergina" (links) die heutige Flagge (mitte). Rechts ist die Flagge der nord-
griechischen Provinz Makedonien zu sehen.
Copyright: WikimediaCopyright: Fritz NiemannCopyright: Wikimedia
Der Stern von Vergina war das Symbol der makedonischen Königsdynastie zu Zeiten von Philipp II. und Alexanders des Großen und auf dieses Erbe berufen sich beide Staaten. Wie schon erwähnt, dauert der Namensstreit bis heute an - kürzlich flackerte er wieder auf, als die Makedonier den Flughafen von Skopje in "Alexander the Great" umbenannten, was die Griechen - wie es nicht anders zu erwarten war - nicht guthießen. Weltweit wird Makedonien mittlerweile von 114 Staaten - inklusive der drei permanenten Sicherheitsratsmitglieder USA, Russland und China - als "Republic of Macedonia" anerkannt. Die Anderen - inklusive Deutschland - wollen es sich wohl nicht mit den Griechen verscherzen und bleiben beim unschönen Namen "FYROM". In vielen Bars, Internetcafes oder Geschäften hängt dieses Plakat, das den Unmut über den auferzwungenen Namen wiederspiegelt.
Copyright: Macedoniadaily
Wer sich ein Bild machen möchte, welche Emotionen der Namensstreit bis zum heutigen Tag hervorruft, dem sei ein Besuch des Mazedonien-Forums nahegelegt. Das Niveau der Beiträge ist teilweise unendlich tief, aber man erhält einen ganz guten Einblick in das, was Makedonier aus Makedonien, Griechenland, Albanien und Bulgarien so bewegt. Hier findet sich ein Beitrag, der die Argumente gegen die Benennung in "Republic of Macedonia" zusammenfasst. Auch auf Youtube finden sich unter dem Stichwort "FYROM" eine ganze Reihe von Videos, mit denen auf teilweise sehr kreative Weise nachgewiesen werden soll, dass entweder FYROM eigentlich Macedonia heisst, oder aber - andersherum - Makedonia rein gar nichts mit dem alten Makedonien Alexanders des Großen zu tun hat.

Pro FYROM (ganz große Musikuntermalung!):

Contra FYROM:
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Engelsgesichter und ein erbitterter Kampf

Copyrigth: Fritz Niemann
Seit einigen Tagen treffen wir an jeder Ecke Bitolas US-amerikanische Peace Volunteers, die im Auftrag des Guten den Balkan missionieren. Die Männer sind meist bärtig und haben etwas Jesus-artiges in ihrem Auftreten. Sie sind so gütig und streuen Gelder von US-Aid unters Volk. Sie scheinen überall zu sein: in den Kirchen, in den Bars, in den Diskotheken. Und auf eine seltsame Art sind sie ziemlich unerträglich in ihrer selbstlosen Güte.
Gestern abend stand das prestigeträchtige Bruderduell zwischen Kroatien und Makedonien zur EM-Qulifikation 2008 auf dem Programm, das ich mir mit Philip angesehen habe. Vor voller Hütte in Zagbreb war die Sache eigentlich klar: der noch ungeschlagene Tabellenführer aus Kroatien gegen den Fußballzwerg aus Makedonien. Das sollte ein hoher Sieg werden. Nur die Makedonier haben nicht mitgespielt und sind sogar in Führung gegangen, was für großen Jubel auf dem Marsal Tito sorgte. Hier der Führungstreffer des makedonischen Teams:

Die Trainer beider Mannschaften sind gute Bekannte aus der Bundesliga (Slaven Bilic, Kroatien, ehemals Karlsruher SC und Srečko Katanec, Makedonien, ehemals VfB Stuttgart) und das Spiel war recht munter, auch wenn das Niveau des makedonischen Teams wohl am ehesten mit dem der österreichischen Mannschaft zu vergleichen ist. Immerhin haben sie einen Weltklassemann in ihren Reihen: Goran Pandev von Lazio Rom. Zwar ist der Einäugige unter den Blinden König (fünf Euro ins Phrasenschwein), aber leider hatte das makedonische Team bereits in der ersten Halbzeit sechs gelbe Karten kassiert, so daß es absehbar war, daß Goce Sedloski, Kapitän der Makedonier in der 68. Minute nach einer gewagten Beinschere des Feldes verwiesen wurde. Was folgte, war ein einziger Sturmlauf des kroatischen Teams und - folgerichtig - in der 88. Minute der Siegtreffer durch den Spieler mit dem sehr kroatischen Namen Eduardo Da Silva. Niedergeschlagen wirkte denoch niemand so richtig - es hatte ja ohnehin niemand mit einem Sieg gerechnet. Nach Abfiff des Spiels füllte sich die Bar in Minutenschnelle, so daß kein Durchkommen mehr war, die Bäße peitschten und der Laden brodelte.
Copyright: Fritz Niemann
Wir trafen dann Lisa und zogen in den Club Infinity weiter, so etwas wie das P1 Bitolas. Der DJ legte ein Technobrett auf, das einen an die frühen Neunziger denken ließ und der Laden war voller Kunstleder und Kunstbrüste. Vor dem Damenklo bildete sich eine lange Schlange und alle hatten ihr Kosmetiketui dabei, beobachtet von den in der VIP-Lounge Sitzenden. Die befindet sich geruchsneutral genau zwischen den beiden Toiletteneingängen, was es uns leichter verschmerzen ließ, nicht zu den VIPs zu gehören. Ich möchte nicht vergessen, zu erwähnen, daß sich inmitten der anderen Tanzenden ein bärtiger US-amerikanischer Peacecorps Volunteer zum Takt der Musik bewegte. Ganz in sich versunken. Der Gesichtsausdruck so gütig, engelsgleich. Die Nacht endete spät und früh. Jetzt gehen wir in den Zoo von Bitola. Und ich möchte doch fast darauf wetten, dass wir dort einen US-Volunteer treffen. Oder - vielleicht ist es gar kein Besucher?
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Singen macht glücklich


Jeden Donnerstag gegen sechs Uhr abends erklingt ein fröhliches Lied in der Technical Fakulty von Bitola, in der die Academic Training Association ihr Büro hat. Lautsprecher an, lauter drehen und geniessen! Heute abend bereiten wir ein Bacchanal für unsere Vermieterin und ihre Familie! Schönes Wochenende!
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Konferenz auf Griechisch

Copyrigth: Fritz Niemann
Heute waren wir mal wieder auf einer interessanten Konferenz im Hotel Epinal über die Entwicklung sogenannter SMEs (Small and Medium Enterprises) - dieses Mal ausgerichtet vom Außenministerium des griechischen Nachbarlandes. Alle bekannten Köpfe waren da: Professor Igor, Professor Dragan und etliche andere vertraute Gesichter. Es war wirklich hochspannend, den auf Griechisch gehaltenen Reden zu lauschen, die dann auf Makedonisch übersetzt wurden. Wir waren aber nicht die Einzigen im Publikum, die ab und zu gähnen mussten. Alle - auch die Herren auf dem Podium - schienen auf das Hauptereignis des Tages zu warten: das große Mittagessen. Doch dazu später - denn auf dem Podium saß auch ein deutscher Berater, der sich dort in einer Selbstgefälligkeit präsentierte, daß es einem als Landsmann eigentlich nur schlecht werden konnte. Er stellte sich als Dr. S. vor, tätig für eine größere deutsche Beratungsgesellschaft aus Hamburg. Und eines machte er den Anwesenden schnell klar: er wusste Bescheid über Makedonien, besser als alle Anderen in diesem Raum. Daß er mit seinem geschmackvollen Anzug nicht mal in eine Vorstadtdiskothek in - sagen wir mal - Erding hineingekommen wäre, durfte da keine Rolle spielen. Der Grund für die wirtschaftliche Schwäche Makedoniens - und das wusste er genau - sei, daß sich in dem kleinen Land zwar Alle kennen würden, aber die Geschäftsleute nicht miteinander sprechen würden. It´s the communication, stupid? Ja, klar, Dr. S. - Gott sei Dank gibt es Charmebolzen wie Dich, die mit das Land mit ihren kommunikativen Fähigkeiten mal so richtig aufmischen.Copyrigth: Fritz Niemann
Nachdem immer mehr Leute im Publikum ihr Gähnen nicht unterdrücken konnten unterbrach Professor Dragan die Konferenz kurzerhand und bat zum Mittagessen, was von allen Anwesenden mit dankbaren Zustimmungsrufen quittiert wurde. Die Menge bewegte sich ins Restaurant des Epinal und wir teilten einen Tisch mit Professor Dragan, Dr. S., einem sehr freundlichen griechichen Professor (im Bild links) und Pece, dem makedonischen Assistenten von Dr. S., mit dem ich mich länger unterhielt. Peces Frau ist Deutsche und er sprach ein geschliffenes Deutsch. Auf seine Frage, wie viel ich wiege, antwortete ich 82 Kilo. Pece meinte, dass ein echter Mann mindestens 100 Kilo wiegen müsse (so wie er) - das hätte viele Vorteile: im Winter spende der Körper Wärme und im Sommer Schatten. Alaaf. Noch bevor die Vorspeise serviert wurde, lud Professor Dragan zur Rakija-Runde, der ich mich nicht verweigern konnte und wir unterhielten uns über Makedonien und mit Dr. S. über Emissionszertifikate ("Da ist Musik drin"). Nachdem die meisten gegangen waren, erzählte uns die Übersetzerin von Dr. S. noch, wie peinlich es ihr gewesen sei, die Bemerkung über die mangelnde Kommunikation zu übersetzen und wie schlecht das bei den Anwesenden angekommen wären. Kann man sich vorstellen. Vielleicht sollten manche Leute bei ihren Zertifikaten bleiben. Da das Mittagessen umfassend ausfiel, war eine Siesta unausweichlich. Wer sich das Ganze noch im Kurzfilm ansehen will, der kann das jetzt tun.
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Kemal und die Energy-DVDs

Copyright: Fritz Niemann
Das Stadtmuseum von Bitola ist in der ehemaligen, von den Osmanen erbauten Militärakademie der Stadt untergebracht. Die Ausstellung ist nicht weiter erwähnenswert - neben Klamotten aus dem 19. Jahrhundert werden die wichtigsten Funde aus dem benachbarten Herikleia und ein original aufgebautes Wohnzimmer aus der Blütenzeit Bitolas gezeigt. Doch es gibt noch einen sehr aufwendig restaurierten Raum. Dieser ist dem berühmtesten Schüler der Akademie gewidmet: Mustafa Kemal Atatürk. Der 1881 in Saloniki geborene spätere Begründer der modernen Türkei drückte im ehemaligen Manastir ab 1895 für einige Jahre die Schulbank. Der Ausstellungsraum wurde zum Großteil von der türkischen Regierung finanziert - und das merkt man. Es wimmelt nur so von türkischen Flaggen und Bildern von Atatürk in heroischer Pose. Die Anzahl der vorhandenen Flachbildfernseher übertrifft vermutlich die der sonst im gesamten Stadtgebiet vorhandenen. Auf den Informationstafeln ist in türkischer, englischer und mazedonischer Sprache (in dieser Reihenfolge) zu lesen, was für ein folgsamer Schüler der Heroe gewesen sei und dass er die Akademie als Jahrgangsfünftbester abeschlossen hätte, um seine akademische Laufbahn anschließend ab 1899 an der Kriegsakademie in Istanbul fortzusetzen. Den Namen "Kemal" (= der Perfekte) hat ihm übrigens der Mathematiklehrer seiner Schule in Saloniki verliehen, da er in diesem Fach so brillierte. Aber genug der Geschichte jetzt.
Copright: Fritz Niemann
Lisa und ich trafen uns dann wieder bei "Energy-DVDs". Der Laden gehört Emir und Emir verkauft eigentlich Rohlinge, Kabel und Mikrophone. Sein Kerngeschäft befindet sich aber in seinem Schrank: Emir kann - laut Eigenwerbung - jeden Film auf DVD besorgen. Jeden. Alle vorrätigen Filme kosten 30 Denar (ca. 50 Cent), jeder bestellte Film 70 Denar (ca. 1,10 €). Das Geschäft scheint zu florieren: In dem toilettengroßen Laden tobt der Bär und es herrscht ein munteres Kommen und Gehen. In seinem Computer sind alle Werke katalogisiert. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal ist, ob ein Film von der Original-DVD kopiert wurde oder von einem von Emirs Kumpels im Kino abgefilmt - was, wie man sich vorstellen kann, die schlechtere Variante ist. Wir entschieden uns gestern für "The last King of Scotland" über Idi Amin und bestellten noch sechs andere Werke, die immer pünktlich bis zum Mittag des kommenden Tages geliefert werden. Dann gingen noch kurz eine der guten Pizzen im DeNiro essen und machten uns dann auf den Nachhauseweg, um dort den "Diplomat" zu entfachen und den - spannenden - Film zu sehen.
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Panta rei in Herakleia

Copyrigth: Fritz Niemann
Gestern brach der Frühling in Bitola voll aus, alles war panta rei (griechisch = alles fließt) und wir trafen - nachdem wir ausgeschlafen hatten - unsere Vermieterin, die uns auf ihre sonnenbeschienene Dachterasse lud. Wieder war der Café sehr süss und dickflüssig und wir unterhielten uns lange auf Französisch mit Wera. Wie schon früher erwähnt, lehrt sie Psychiatrie an der Universität von Bitola. Zur Zeit erforscht sie das Phänomen der Spielsucht. Daher die vielen Kugelschreiber und Feuerzeuge mit der Aufschrift "Casino Bitola", dachte ich mir. Sie erklärte uns, dass sie auf der einen Seite rund 1000 Personen für eine Studie befragt hat, auf der anderen aber natürlich auch einen Selbstversuch machen musste. Und genau das sei das Problem, fuhr sie fort: sie hätte das lokale Casino einmal betreten und sei nie wieder wirklich rausgekommen. Wenigstens weiss sie, welches Problem die Spielsüchtigen haben - wer selbst einen Hang dazu hat, kann sich leichter in die Menschen hineinversetzen, als wenn er alles nur aus dem Lehrbuch weiss. Wenn sie das mit allen Süchten macht, die die Menschen so haben, muss sie einiges aushalten können. Auch sie erklärte uns, dass die Probleme in Makedonien erst mit dem Zerfall Jugoslawiens angefangen hätten: Makedonien sei vom Drogentransitland zum Drogenkonsumland geworden und die Solidaritätsgesellschaft sei mit dem Einzug des Kapitalismus einer Ellbogengesellschaft gewichen. Was sie erzählte, erinnerte sehr an die Entwicklung, die die frühere DDR genommen hat.
Copyrigth: Fritz Niemann
Ich fragte sie, wie es dazu kam, dass im so friedlichen Bitola, in dem es seit dem ersten Weltkrieg (damals verlief hier die sogenannte Thessaloniki-Front) nie zu Kampfhandlungen kam, im Jahr 2001 plötzlich der Mob tobte, albanische Geschäfte in Flammen setzte und es zu einer regelrechten Hetzjagd auf die albanischen Bewohner Bitolas kam. Rund vier Prozent der Einwohner Bitolas sind Albaner und Wera meinte, dass es eigentlich nie Schwierigkeiten mit ihnen gegeben hätte. Im Juni 2001 wurden drei Polizisten aus Bitola außerhalb von Tetovo, das rund 150 Kilometer von Bitola entfernt liegt, von der Albanian National Liberation Army (NLA) getötet. Am Tag danach zogen rund 1000 Menschen durch Bitola, bewarfen Dutzende von Albanern bewohnte Häuser und 100 albanische Geschäfte mit Molotov-Cocktails und brannte sie nieder. Auch eine Moschee der Stadt wurde zerstört und die Ruine mit dem Slogan "Tod den Skiptaren" besprüht. In einem Bericht von Human Rights Watch wird beschrieben, dass die Polizei nicht eingriff, sondern einzelne Polizisten sich sogar aktiv an den Zerstörungen beteiligten. Wie dem HRW-Bericht zu entnehmen ist, hörte ein Augenzeuge wie die Menge skandierte: "Ihr habt eine Woche, um nach Albanien zu gehen, sonst töten wir Euch alle". Es seien rund 1000 Leute gewesen, keine Frauen und zahlreiche Albaner seien auch tätlich angegriffen worden. Wera erklärte uns, dass sie sich auch nicht erklären könne, weshalb es damals zu dieser Eruption gekommen sei. Es sei wahr, dass das Gros der Albaner gesellschaftlich nicht wirklich integriert sei und ein anderes Wertesystem hätte. Dennoch sei es niemals zuvor und niemals danach zu solchen Ausbrüchen gekommen. Wenn man heute durch Bitola geht, käme man in der Tat nicht auf die Idee, dass es vor nicht allzu langer Zeit in dieser so freundlichen und entspannten Stadt zu solch hässlichen Szenen gekommen ist.
Copyrigth: Fritz Niemann
Nach dem wir uns von Wera verabschiedet hatten, machten wir uns auf dem Weg nach Herakleia, das von Philipp II., des Vaters Alexanders des Großen, im Jahr 359 vor unserer Zeitrechnung gegründet wurde. Der Weg dorthin ist ein gemütlicher Spaziergang, der vom Stadtzentrum rund eine halbe Stunde dauert und an Bitolas Bahnhof und zahlreichen, malerisch gelegenen Friedhöfen vorbei führt. Herakleia entwickelte sich nach seiner Gründung zu einem wichtigen Stützpunkt der Römer an der Via Egnatia, die Byzanz mit dem heutigen Durres an der albanischen Küste verband. Im Jahr 472 fielen die Ostgoten unter Theoderich ein und zerstörten die Stadt, dann wurde sie wieder aufgebaut, nur um im Jahr 518 von einem Erdbeben vernichtet zu werden.
Auf dem Weg nach Herikleia, der uns durch den Stadtpark Bitolas führte, trafen wir zahlreiche Familien, die einen Sonntagsspaziergang machten. Als ich sah, daß ein fröhlicher Familienvater unmittelbar vor uns einen Revolver in seinem Gürtel trug, wurde mir kurz ganz anders. Ob es eine Smith & Wesson oder eine Baretta war, konnte ich nicht feststellen. Wie ein Spielzeug sah das Ding jedenfalls nicht aus, aber vielleicht wollte der gute Mann ja auch nur ein paar Vögel schiessen.
Copyright: Fritz Niemann
Wir waren an diesem schönen Tag jedenfalls die einzigen Besucher Herakleias und sehr viel mehr als erahnen kann man die einstige Pracht dieses einst wichtigsten Ortes der obermakedonischen Landschaft Lynkestis nicht, auch wenn das Amphitheater vor dem Bergpanorama eindrucksvoll ist. Die Ausgrabungsarbeiten sollen aber dieses Jahr wieder aufgenommen werden. Der Eintrittspreis beträgt übrigens 150 Denar (ca. 2,50 €). Wenn man aber auch Fotos machen will, erhört sich der Eintrittspreis um stolze 500 Denar. Wir konnten mit dem sehr freundlichen Kunstverständigen, der sich uns voll und ganz widmen, konnte einen Sonderpreis von 500 Denar für Lisa, die Kamera und mich aushandeln und bekamen auch noch einige interessante historische Informationen dazu. Kristian Criz (er erklärte uns, dass sein Nachname auf makedonisch "Christi Himmelfahrt" bedeutet) erzählte, dass Philipp II. ein Mann gewesen sei, der Wein, Weib und Gesang geliebt hätte und noch vieles mehr, was hier darzulegen zu weit führen würde. Als die Sonne langsam an Kraft verlor, machten wir uns auf den Weg zurück und beendeten den Tag im Panta rei vor unserem "Diplomat" genannten Kamin, der uns vor der bitteren Kälte der Nacht schützt.
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Keine Cajtnot in der Stara Carsija

Copyrigth: Fritz Niemann
Ganze 500 Jahre befand sich Makedonien unter osmanischer Herrschaft, länger als alle anderen jugoslawischen Staaten. Als die Osmanen Ende des 14. Jahrhunderts nach Bitola kamen, benannten sie die Stadt kurzerhand in Manastir um, da es in den umliegenden Bergen so viele Klöster gab (und gibt). Von diesem Zeitpunkt an kamen viele türkische Siedler ins Land und verdrängten die Makedonier in die Berge, was die Osmanen ausnutzten, um zahlreiche Kirchen zu zerstören und zahlreiche Moscheen zu errichten. In Bitola soll es einmal mehr als sechzig islamische Gotteshäuser gegeben haben, vierzig wurden unmittelbar nach dem Niedergang des osmanischen Reiches abgerissen, nur noch einige sind übrig. Was es immer noch gibt, ist die Stara Carsija, das türkische Viertel Bitolas, mit seinem Bazar und dem großen Stadtmarkt, auf dem die Bauern der umliegenden Dörfer ihre Waren feilbieten. Heute haben wir das Flüßchen Dragor überquert und diesen Teil Bitolas erforscht.
Copyright: Fritz Niemann
In der Zeit der Osmanen brachten viele Einwanderer - vor allem Juden, Griechen und Türken - ihr Handwerk mit. In den kleinen Läden des Bazars ist vom Goldschmied bis zum Uhrmacher, vom Sesamkringelbäcker bis zum Zahnarzt alles zu finden. Mittendrin steht eine verfallene Moschee, die ganz profan als Lagerraum dient. An diesem sonnigen, frühlingshaften Samstag scheint sich ganz Bitola durch die engen Gassen zu drängen und sich des Lebens zu freuen. Wenn wir versuchen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, ist es meistens am Besten, mit der älteren Generation Französisch zu sprechen und mit den Jüngeren auf Englisch. Immer funktioniert das nicht. Ein Zeitungsverkäufer sagte immer nur ""Ruski, Ruski, Makedonia, Sozialisti, Tito: Ruski" und deutete gestenreich an, dass er als damals guter Jugoslawe eben Russisch lernen musste, sonst nichts. Häufig erlebt man aber auch Überraschungen und bekommt von einem Gesprächspartner plötzlich eine Antwort in geschliffenem Schwäbisch. Viele haben mal in Deutschland gelebt oder haben immer noch Familienmitglieder, die dort leben. Als Deutschland in den 1960er-Jahren jugoslawische Gastarbeiter angeworben hat, haben sich vor allem viele Makedonier auf den Weg gemacht, da auch damals die Arbeitslosigkeit in Makedonien bei zwanzig Prozent lag (heute sind es vierzig). Die meisten sind zurückgekehrt, da sie das gesellschaftliche Klima in Deutschland ein wenig zu frostig fanden, wie uns heute unser Gesprächspartner Igor, den wir beim Spinatkauf kennengelernt haben (der fröhliche Herr ganz oben im Bild), erklärt hat. Und so sind einige vertraute und dennoch bemerkenswerte Worte in die makedonische Spache eingeflossen.
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Schon neulich, als unsere Autobatterie versagte, lernten wir, dass der Anlasser eines Autos auf makedonisch schlicht - anlašer heisst. Was ein gastrbajter, tišler oder hausmajstor ist, liegt auf der Hand. Aber was ist bitte der brušalter oder die cajtnot? Das ist im empfehlenswerten Reiseführer "Makedonien entdecken" genauer nachzulesen. Einen kleinen Tipp kann ich dennoch geben: Beim brušalter handelt es sich um ein gewisse Körperwölbungen stützendes Kleidungsstück und die cajtnot ist ein typisch deutsches Gesellschaftsphänomen - immer rastlos, immer auf dem Sprung: in cajtnot eben. In Makedonien scheinbar vollkommen unbekannt.
Das Angebot auf dem neben dem Bazar gelegene Stadtmarkt ist riesig, auch wenn viele Stände die gleichen Waren offerieren, weshalb wir nicht allen Verkäufern, die uns zuriefen, etwas abnehmen konnten. Berge von Eiern, Kraut, Nüssen, Knoblauch, Oliven, Ziegenköpfen und Heilpflanzen aus den umliegenden Bergen warten auf Abnehmer. Auf einen Ziegenkopf haben wir verzichtet, um dann - schwer bepackt - nach Hause zu gehen und heute Abend ein Festmahl zuzubereiten.
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Ein kleiner Nachtrag zum "super WLAN": Gestern abend bekam ich eine SMS von Macedonia Online: "Try now the adress is in list now best regards Angela". Heute morgen versuchte ich mich einzuloggen - nichts. Doch als ich die Treppe in den ersten Stock erklomm und den Computer in den Himmel erhob, ging es. Zwei Balken auf der Empfangsskala. Danke, Angela, das ist wirklich "super".

Da heute abend die Buchpräsentation von Walter Rufers bedeutendem Werk "Der Himmel ist blau, ich auch" in der Nachtlinie der Münchner Kammerspiele mit anschließendem Konzert von G.Rag y los Hermanos Patchekos stattfindet, kommt der Song des Tages selbstverständlich von dieser wegweisenden Münchner Band (vom neuen Album "Lucky Goddamn"). Viel Vergnügen beim Reinhören - das ganze Album gibt es bei Gutfeeling in München.
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Die Fliege und das "super" WLAN

Copyright: Fritz Niemann
Gestern saßen wir - von der Mittagssonne beschienen - in einem der zahlreichen Cafés auf dem Marsal Tito, der auch unter den Namen Sirok Sokak (weite Strasse) und Hamidie Dzadessi (der türkische Name) bekannt ist und blickten auf den Saat Kula, den Uhrturm, das Wahrzeichen Bitolas (siehe oben). Es ist nicht bekannt, wann der Turm genau gebaut wurde - jedenfalls sagt die Legende, dass die damals türkischen Herrscher der Stadt von den Bewohnern der Dörfer nahe Bitola 60.000 Eier eingesammelt haben, um diese dem Mörtel beizumischen und den Turm dadurch widerstandsfähiger zu machen.
Es gibt sehr wenig Bettler in Bitola, viel weniger als in einer durchschnittlichen westeuropäischen Stadt. Doch eine alte Frau, vom Leben so gebeugt, dass nur ihr Stock das Gleichgewicht sicherte, ließ nicht locker. Sie fasste uns an und begann, als wir symbolisierten, dass wir nicht zahlungswillig seien, in einer Mischung aus makedonisch und französisch auf uns einzuschreien. Das um ihren Hals gehängte, orthodoxe Kreuz baumelte bedrohlich und sie schrie mich an "Tu es catholique?" - was ich verneinte. "Tu es protestant?" - auch das bin ich nicht und schüttelte den Kopf. Sie schien dennoch sehr unzufrieden und schrie - nun auf makedonisch - weiter. Sie hörte erst auf, als jemand von unserem Nachbartisch aufstand, ein Lederetui zückte und es ihr aufgeklappt vor die Nase hielt. Die alte Frau ging, weitere Flüche ausstoßend, weiter. So kamen wir mit den drei Herren am Nebentisch ins Gespräch und ich fragte den mit dem Etui, was er der Furie denn gezeigt hätte. Dragan stellte sich vor - er ist Polizist und für die Sicherheit des griechischen Konsulats in Bitola verantwortlich. Offensichtlich war die Gefahrenlage für das Konsulat nicht als erhöht eingestuft, denn immerhin konnte Dragan seelenruhig mit zwei Freunden biertrinkend in der Sonne sitzen. Er meinte, dass die alte Frau Geld einsammelt, es an Arme und Kranke weitergibt und wir ihr das nächste Mal ruhig etwas geben könnten. Sie sei nur bisweilen etwas aufbrausend.
Sein Freund schaltete sich in die Unterhaltung ein und stellte sich als Louis vor. Er sprach vollkommen akzentfrei Englisch, trug eine Ray-Ban-Sonnenbrille und ein weites Hemd, aus dem die Brusthaare nur so herausquollen. Louis erzählte, dass er seit zwanzig Jahren in Sidney leben würde und dass Sidney die schönste Stadt der Welt sei. Er käme nur noch zwei Mal im Jahr nach Bitola, um hier sein Business voranzutreiben - er importiert Gemüse, Apfelmus und noch ein paar andere Sachen aus Makedonien nach Australien. In Sidney sei er übrigens nur als Louis "The Fly" bekannt.
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Louis "The Fly"? Sofort schossen mir Bilder unzähliger Mafiafilme in den Kopf: Joey "The Butcher", Niki "The Tooth", Jonny "The Nose" Nostramo - und eben Louis "The Fly". Louis erzählte weiter, er würde so genannt, da er in Sidney ein Geschäft für Fliegennetze hätte, was wir ihm jetzt einfach mal glauben wollen. Jedenfalls wäre Dragan, der Polizist, sein Freund und würde ihm bei seinen Geschäften helfen. Diese Aussage machte Dragan sichtlich stolz, wie es überhaupt so wirkte, als sei "The Fly" ein sehr angesehener Mann, weil er es im fernen Australien zu etwas gebracht hat. Ich fragte Dragan, ob er mir etwas über die Kriminalität in Bitola erzählen könnte. Gewaltkriminalität und Eigentumsdelikte gebe es wenig, meinte er, und alles in allem sei Bitola eine sehr sichere und ruhige Stadt. Was jedoch überhand genommen hätte, sei die Drogenkriminalität. Aus allen Himmelsrichtungen würden die verschiedenen Stimulatien und Sedativa nur so ins Land strömen: Marihuana von den Anbaufeldern im Süden Albaniens, chemische Drogen aus Griechenland, Heroin über die alte Seidenstrasse via Istanbul und Bulgarien und alle Anderen aus dem Kosovo im Nordwesten des Landes. Über die Problematik des Handels mit Menschen - insbesondere Frauen - erzählte er nichts. Wie ich gelesen habe, blieben bei eine Razzia in Bitola im Juli 2002 zwei der Bordelle der Stadt unangetastet - sie gehörten der Polizei. Am Ende unseres Gesprächs überreichte uns Dragan feierlich seine Visitenkarte und versicherte uns, dass wir ihn immer anrufen könnten, sollten wir in Schwierigkeiten geraten. Gut zu wissen.
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Nachdem wir uns verabschiedet hatten, gingen Lisa und Erik zur Arbeit und ich suchte das Büro von Macedonia Online (MOL). Wir haben in unserer Wohnung keinen Internetanschluss und ich habe neulich gelesen, dass Makedonien zum weltweit zweiten Staat mit einem flächendeckenden WLAN werden soll. Der erste ist die Inselrepublik Mihiri im Süd-Ari-Atoll. Da mich die Aussicht reizte, abends im Internet surfend vor unserem "Diplomat" genannten Kamin zu sitzen, fragte ich in meinem Lieblingsinternetcafe "Mouse" und - die freundliche Besitzerin wies mir den Weg: in einer Querstrasse des Marsal Tito liegt ein Einkaufszentrum, das den Charme einer Tiefgarage hat, aber von der Mouse-Besitzerin als "glamorous Mall" beschrieben wurde. Nach längerem Herumirren fand ich das mikroskopisch kleine Büro von MOL, in dem - unter einem Rauchverbotsschild - zwei sehr junge, rauchende Menschen saßen. Es sei alles ganz einfach, erklärten sie mir. Ich müsse ihnen meine Airport-ID geben und dann ginge alles automatisch, sogar "super". Ich gab ihnen also die ID und ging wieder nach Hause - leider war es nicht "super" und ich ging wieder zu MOL. Ja, solche Probleme gebe es manchmal, meinten die beiden. Jetzt ginge es aber sicher "super". Als ich wieder zu Hause war, funktionierte es immer noch nicht. Ich habe dann ein Buch gelesen und das war wirklich "super". Heute gehe ich wieder zu MOL - Fortsetzung folgt. Und hier endlich der Song des Tages:
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Mӑrsal Tito

Copyright: Fritz Niemann
In Marokko heisst jede Hauptstrasse in jedem noch so kleinen Ort Boulevard Hassan II. - die makedonische Variante der Prachtstraße ist der Marsal Tito, wie auch die Einkaufsstrasse in Bitola heisst. Josip Broz Tito starb 1980, aber an die Zeit seiner Regentschaft erinnern sich die Menschen hier mit Wehmut, wie überhaupt häufig zu hören ist, dass die Zeiten besser waren, als Jugoslawien noch existierte. Zwar war Makedonien auch damals schon das Armenhaus der jugoslawischen Föderation, aber die Arbeitslosigkeit, die heute bei rund vierzig Prozent liegt, war weit geringer und die Korruption ebenso.
Gestern abend trafen wir Wera und Philip wieder, Lisa hatte vom ATA-Büro in Skoje den korrigierten Vertrag erhalten und wir konnten endlich bei einem erneut sehr süßen Kaffee den Vertragsabschluss feiern. So haben wir das Hotel Deniro verlassen, das ich jedem Bitola-Besucher sehr ans Herz legen möchte. Es ist sehr zentral gelegen, sauber, gemütlich und die Leute, die dort arbeiten, sprechen alle gut englisch. Das zum Hotel gehörende Restaurant Deniro hat einen schönen Wintergarten und gute Pizza aus dem Holzofen. Und wenn die Autobatterie mal leer ist, dann hat der Vater des Kellners - sollte er nicht gerade seinen Mittagsschlaf halten - garantiert auch ein Überbrückungskabel.
tito Kopie
Unsere neue Adresse heisst jedenfalls Marsal Tito 38 - wir bewohnen das Ergeschoss eines kleinen Hauses (im Bild oben) in einer Seitengasse der Einkaufsstrasse, ganz in der Nähe der Jeni-Moschee. Über uns wohnen Wera (im Bild unten, in jung und in älter), Philip mit seiner Frau und deren drei Kindern. Unser Kamin heisst "Diplomat" und im Garten liegt Feuerholz für die nächsten drei Winter. Auch in Bitola ist dieser Winter sehr mild ausgefallen - üblich sind hier Temperaturen bis minus 40 Grad und im Sommer dann das Ganze andersherum.
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Philip ist 33 Jahre alt und in Sofia geboren, weshalb er ohne Visum in andere EU-Länder reisen darf. Makedoniern steht dieser Weg nicht offen, sie müssen sich in einer langwierigen und teuren Prozedur ein Visum besorgen, nachweisen, dass sie von einem EU-Bürger eingeladen wurden und zusichern, dass sie im Falle einer Erkrankung alle Kosten selbst tragen. Jedenfalls hat Philip - wie sehr viele Menschen hier - keinen Job, der genug abwirft, um sich, seine Frau und die drei Kinder zu ernähren. So hat er sich also - wie er uns erzählte - vor zwei Monaten auf den Weg nach Deutschland gemacht, um Arbeit zu finden. Auf die Frage, welche Arbeit er denn gesucht hätte - er ist Elektroingenieur - sagte er: "jede Arbeit". So ist er also nach Gelsenkirchen gefahren und hat dort Arbeit gesucht. Weshalb ausgerechnet nach Gelsenkirchen, wusste er auch nicht genau. Viel Industrie sei dort. Philip spricht ganz passabel Englisch, meinte aber, dass die Deutschen, die er auf Englisch angesprochen hätte, ihn zwar verstanden hätten, aber immer auf Deutsch geantwortet haben. Das hat er dann aber nicht verstanden. So ist er also einen Monat in Gelsenkirchen geblieben, hat nach Arbeit gesucht, hat die Menschen auf Englisch angesprochen und hat Antworten auf Deutsch bekommen und ist dann wieder nach Bitola zurückgefahren. Eine komplett erfolglose Mission. Auf seine Frage, wohin in Deutschland er denn fahren sollte, um Arbeit zu finden wusste ich auch keinen Rat.
Die Wohnung ist jedenfalls sehr gemütlich und auch Weras Globus - wenn auch geleert - trägt zur Atmosphäre bei.

Heute abend werde ich die Küche einweihen, worauf wir uns nach der Fleischkur der vergangenen Abende sehr freuen - sogar Olivenöl, was es in Restaurants kaum gibt, habe ich gefunden. Vielleicht schauen wir uns danach einen Film an - leider gibt es in Bitola kein Kino mehr, da auch hier der Siegeszug der Internet-Downloads den Lichtspielhäusern den Garaus gemacht hat. Gestern ging ich in einen Laden und fragte nach DVDs. Die Verkäuferin deutete auf einen Packen Rohlinge. Als ich den Kopf schüttelte und "Movies?" sagte, öffnete sie einen Schrank und holte einen großen Sack heraus. Dann stellte sie einen Stapel bereits gebrannter DVDs neben den anderen. Ich suchte mir die neuesten Werke von Clint Eastwood, Brian de Palma, Michael Haneke und noch ein paar andere aus, bezahlte 30 Denar (kapp 50 Cent) pro Stück und war nach dem Ausprobieren erstaunt: Obwohl ein Film nur in türkischer Sprache zu sehen war und ein anderer so unprofessionell im Kino abgefilmt, dass Seekrankheit drohte, waren alle anderen von bester Qualität. Sogar von einer makedonischen Firma (The End Studio) aufbereitet. Vorhang auf!
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Leere Batterien und (fast) ein Vertragsabschluss

Copyright: Fritz Niemann
Eigentlich wollten wir heute nach Heraklea fahren, um uns dort die Ausgrabungsstätten anzusehen. Heraklea wurde im 4. Jahrhundert vor Christus von Philipp II., dem Vater von Alexander von Makedonien, gegründet. Die an der römischen Handelsstraße Via Egnetia gelegene Stadt entwickelte eine Hochkultur, die ihre Blüte im 4. und 5. Jahrhundert nach Christus hatte. Das klang alles sehr interessant. Erik, Lisa und ich setzten uns also motiviert ins Auto, doch auch nach mehrmaligem Drehen des Zündschlüssel passierte - nichts. Die Batterie hatte sich entladen. Also versuchten wir, den Wagen durch Schieben wieder zum Leben zu erwecken, was ein leider sinnloses Unterfangen war. Ein freundlicher Kellner des Restaurants De Niro, den wir um Hilfe baten, rief einen seiner Kumpels an. Der kam kurze Zeit später mit seinem Lada um die Ecke gebogen und brachte Überbrückungskabel mit. Vielleicht ist es angebrachter, von Überbrückungsfäden zu sprechen - mit seinen Kabeln konnte man sicher perfekt eine Glühbirne mit Strom versorgen, aber eine Autobatterie?
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Als der Kumpel des Kellners das Kabel aus dem Motorraum seines laut röhrenden Ladas zog, sprangen die Funken nur so und die Blicke der Umstehenden - wir wurden langsam zur Hauptattraktion eines ansonsten ereignislosen Sonntags in Bitola - wurden immer skeptischer. Für unsere beiden freundlichen Helfer war klar, was das Problem war: das Auto - ein Opel. Mit einem Toyota wäre uns das nie passiert, versicherten sie. Nach ausgedehnten Versuchen, die erfolglos bleiben mussten, lag auf der Hand, dass ein dickeres Kabel besorgt werden musste. Der Vater des Kellners hatte auch eines, aber der hielt seinen verdienten Mittagsschlaf. Also vereinbarten wir, dass wir uns in zwei Stunden wieder treffen und es mit dem Kabel des bis dahin hoffentlich erwachten Vaters noch einmal versuchen würden.
Kurz darauf trafen wir Philip, den Sohn von Wera, der Psychiaterin, deren Wohnung Lisa mieten will. Gemeinsam gingen wir zu Wera, die von ihrem Trip ins Spielcasino nach Thessaloniki früher wiedergekommen war. Es folgte wieder eine lange Verhandlung auf französisch (mit Wera) und englisch (mit Philip). Lisa hatte ein Vertragswerk in kyrillischer Schrift dabei, das lang und breit diskutiert wurde, obwohl Lisa und ich überhaupt nicht wussten, was in dem Vertrag steht, den das ATA-Büro in Skopje aufgesetzt hat. Es gab viel süßen türkischen Kaffee und endlich eine Einigung. Ich fragte Wera, weshalb sie so gut französisch spricht. Sie meinte, dass es in Bitola früher üblich gewesen sei, die Kinder französisch lernen zu lassen. Als die Stadt im frühen 19. Jahrhundert, damals wurde sie noch Manastir genannt, per Eisenbahn mit Belgrad verbunden wurde, erreichte sie ihre Blüte und wurde nach Thessaloniki zur zweitwichtigsten Makedoniens. Es gab - und gibt noch - viel Konsulate in Bitola und angeblich stand in jedem zweiten Haus ein Klavier.
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Wera erzählte dann noch, dass sie Medizin studiert hat, aber in Jura promoviert (Thema: Wiederholungstaten von Psychopathen). Heute lehrt sie als Professorin Neuro-Psychiatrie an der Universität von Bitola und ist überzeugt, dass die meisten Psychopathen frei herumlaufen ("Ils sont entre nous, partout"). Sie war zweimal verheiratet, ist zweimal geschieden und als sie mir ihr Feuerzeug überreichte (Aufschrift: Casino Bitola), fiel mir wieder ein, woran es wahrscheinlich liegt, dass sie drei Monatsmieten im Voraus haben möchte. Ihr Sohn Philip erzählte dann noch, dass er Lisa und mich im Fernsehen gesehen hätte, als dort über die Eröffnung des Multimedia-Zentrums im Romaviertel durch Professor Igor berichtet wurde. Langsam kennen uns die Leute hier. Es ist jetzt schon so, dass Lisa ständig von irgendwelchen wildfremden Menschen angerufen wird, die einen Job bei ATA haben möchten. Ganz Bitola scheint ihre Handynummer zu haben. Es ist eben eine kleine Stadt mit einer hohen Arbeitslosenquote. Nachdem wir uns von Philip und Wera verabschiedet haben - nicht ohne zu vereinbaren, morgen endlich den Vertrag zu unterzeichnen - trafen wir Erik wieder. Der Vater des Kellners war inzwischen aus seinem Erholungsschlaf erwacht, das Überbrückungskabel da und der Opel, der kein Toyota war, nach kurzer Zeit wieder zum Leben erweckt.
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Das Roma-Viertel ist connected

Copyright: Fritz NiemannUm Punkt 10 Uhr holt Professor Igor Nedelkovski („You can call me Professor Igor“) Lisa und mich aus dem ATA-Büro, das in der Technischen Fakultät von Bitola liegt. Professor Igor lehrt Multimedia und Webdesign und hat heute seinen großen Tag: Es ist ihm gelungen, mitten in dem am Rand von Bitola (man könnte fast fragen: wo sonst?) gelegenen Roma-Viertel mit EU-Geldern ein Multimedia-Zentrum aufzubauen. 25 nagelneue Computer mit schnellem Internet-Anschluss, für alle frei zugänglich, alles von eigens geschulten Roma selbst verwaltet. Knapp drei Prozent der Einwohner von Bitola sind Roma. Rund dreißig Prozent von ihnen sind, laut Professor Igor, nicht fähig zu lesen und zu schreiben. Die Arbeitslosenraten liegt offiziell bei über achtzig Prozent, obwohl Igor meint, dass es ihnen so schlecht nicht ginge. Er nennt es diplomatisch Graumarkt. Jedenfalls haben sie jetzt modernere Computer, als er sie in seiner Fakultät jemals gehabt habt, wie er leicht neidvoll bemerkt. Heute wird das Zentrum, das auf einem Hügel mit Bergblick inmitten des Roma-Viertels liegt, offiziell eingeweiht. Bitolas Bürgermeister Vladimir Taleski kommt und auch seine Exzellenz, the Special Representative of the European Union to Macedonia, der Ire Erwan Fouéré, gibt sich die Ehre.
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Professor Igor ist zurecht stolz. Obwohl er seine Rede auf makedonisch hielt, war herauszuhören, dass sich das Zentrum größter Beliebtheit erfreut und von der Bevölkerung des Viertels gut angenommen wird. Rechts oben: ein Comic, der für das Zentrum wirbt.
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Vladimir Taleski, der Bürgermeister von Bitola, mit einem Mitarbeiter des Multimedia-Zentrums und Professor Igor. Rechts oben: Erwan Fouéré, EU-Botschafter, mit einem Mitarbeiter, der nicht weiß, wohin mit dem überreichten Präsent.
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Besucher des Zentrums. Wie Professor Igor ausführte, ist es seit der Eröffnung des Zentrums vor einem Jahr (heute war die offizielle Eröffnung) gelungen, die Analphabetenrate im Viertel signifikant zu senken.

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Am Ende der Veranstaltung gab es Salzstangen und alle waren guter Stimmung. Es ist zu hoffen, dass die EU häufiger Geld für solch sinnvolle Projekte ausgibt, als dafür, auch noch die letzte Autobahn in Nordgriechenland zu einem dreispurigen Highway auszubauen.
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Durch Makedonien nach Makedonien

Copyright: Fritz NiemannKristian und Slobodan hießen meine Begleiter. Mit den Brüdern fuhr ich vom Flughafen in Thessaloniki bis nach Bitola. Sie verdingen sich beide als Hochzeitsfotografen und führen so eine alte Familientradition fort. Die Reise ging an allerhand historischen Stätten und etwa fünfzehn Steinkohlekraftwerken durch den Nordteil Griechenlands, Stammlands Alexander des Großen, das auch Makedonien heisst, weshalb Makedonien nach einem kleinen - sicher nicht böse gemeinten - , von 1993 bis 1995 dauernden griechischen Handelsembargo jetzt FYROM (= Former Yougoslav Republic of Macedonia) genannt wird, was die Makedonier verständlicherweise nicht erfreut. Alles klar? Immerhin haben die USA Makedonien (FYROM) als „Republic of Macedonia“ anerkannt, was laut meinem Fahrer Kristian unter der Regentschaft von George W. Bush geschah, um die in den USA lebenden Griechen zu ärgern, da diese traditionell den Demokraten zugeneigt sind. Nach gut zwei Stunden Fahrt habe ich seit langem mal wieder ein paar Zöllner gesehen, die es sich nicht nehmen liessen, alles eingehend zu kontrollieren, und gedacht, dass es gut ist, dass es das Schengener Abkommen gibt. Von der Grenze sind es nur noch vierzehn Kilometer bis Bitola. Im Hotel traf ich endlich Lisa. Nach der Begrüßung ging es zusammen mit Erik, ihrem Boss aus Amsterdam, gleich weiter zu Wera, die eine Wohnung vermietet, die Lisa gerne mieten will. Wera ist Professorin für Psychiatrie, spricht ansehnlich französisch und ist warnenden Stimmen zufolge - Bitola ist klein - spielsüchtig und verschuldet. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sie von Lisa vier Monatsmieten cash im Voraus haben will. Es folgte eine einstündige Verhandlung und eine Runde Raki aus dem aufklappbaren, gut gefüllten Globus (ich befürchte, die Professorin hat auch noch andere Süchte) und die Einigung auf drei Monatsmieten. Sollte Wera von ihrem Trip ins Casino nach Thessaloniki heil zurückkehren, können wir nächste Woche einziehen. Abends wurde in Bitola Frauentag gefeiert, weshalb die meisten Restaurants voller Frauengruppen waren. Wir fanden doch noch eines, das Platz für uns hatte: das Bodrum. Der die zarten Cevapcici hervorragend begleitende makedonische Rotwein hieß T´ga za jug, was übersetzt „Sehnsucht nach dem Süden“ heisst. Ein ziemlich beeriger Tropfen, aber gut trinkbar. Makedonien ist Deutschland übrigens einen großen Schritt voraus: in fast allen gastronomischen Einrichtungen gibt es einen Raucher- und einen Nichtraucherraum. Das ist fortschrittlich. Seltsam ist aber, dass eigentlich immer in beiden Teilen geraucht wird - vor, während und nach dem Essen. Vielleicht eine Lösung für Deutschland?
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Sie ist weg

Copyright: Fritz NiemannAn vielen Strassenkreuzungen in Schwabing hing in den vergangenen Monaten eine Barbiepuppe mit eindeutigem Geschlechtsmerkmal - gestern wurde die letzte ihrer Art von der Stadtreinigung entfernt. Es ist Zeit, zu gehen. Die Vorfreude steigt: wärmer als in München ist es seit den iranischen Atomtests in Thessaloniki zwar auch nicht. Aber in zwei Tagen geht es endlich los und ich freue mich sehr, auf den Spuren Kara Ben Nemsis durch das wilde Land der Skipetaren zu reisen. Denn, wie schon Karl May wusste: „Bei Omstrodscha beginnt das Gebiet dieser Skipetaren, die nur das eine Gesetz kennen, dass der Schwächere dem Stärkeren zu weichen hat. Wollten wir nicht den Kürzeren ziehen, so mussten wir dieses Gesetz auch für uns in Anspruch nehmen.“ (Durch das Land der Skipetaren, Band 5). Daran werde ich mich also halten - ob es gelingt, erfahren wir nach meiner Ankunft in Saloniki.
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Mit Aegean an die Agäis und weiter

Copyright: Fritz NiemannNach längerer Suche habe ich einen Flug nach Thessaloniki in Griechenland gefunden - mit Aegean Air, einer Fluglinie, die mich vor allem reizte, da sie damit wirbt, dass dem Gast während des Starts „ein warmes Handtuch“ zur Verfügung gestellt wird. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch, dass die Fluglinie von den Experten von aerosecure für ihre Sicherheit gerühmt wird, was den von Flugangst heimgesuchten Passagier sehr beruhigt. Immerhin schreibt sich Aegean Air auf die Fahne, ihre Piloten „gemäß ihres Charakters“ auszusuchen. Eine andere Aufgabe wird mich erwarten, wenn ich in Thessaloniki angekommen bin. Wie nach Bitola gelangen? Griechenland und Makedonien sind sich spinnefeind, der große Nachbar hat das kleine Land im Norden sogar gezwungen, seinen Namen zu ändern (in FYROM = Former Yougoslav Republic of Macedonia). Letzte Woche habe ich mir den meines Wissens nach einzig verfügbaren deutschsprachigen Reiseführer über Makedonien besorgt, der von Autorin Philine von Oppeln sehr amüsant geschrieben wurde. Der habe ich eine E-Mail geschrieben, netterweise hat sie geantwortet - und siehe da: es führen viele Wege nach Bitola. Und ob ich gut angekommen bin, das erfahren wir nächsten Donnerstag.
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