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Die Fliege und das "super" WLAN

Copyright: Fritz Niemann
Gestern saßen wir - von der Mittagssonne beschienen - in einem der zahlreichen Cafés auf dem Marsal Tito, der auch unter den Namen Sirok Sokak (weite Strasse) und Hamidie Dzadessi (der türkische Name) bekannt ist und blickten auf den Saat Kula, den Uhrturm, das Wahrzeichen Bitolas (siehe oben). Es ist nicht bekannt, wann der Turm genau gebaut wurde - jedenfalls sagt die Legende, dass die damals türkischen Herrscher der Stadt von den Bewohnern der Dörfer nahe Bitola 60.000 Eier eingesammelt haben, um diese dem Mörtel beizumischen und den Turm dadurch widerstandsfähiger zu machen.
Es gibt sehr wenig Bettler in Bitola, viel weniger als in einer durchschnittlichen westeuropäischen Stadt. Doch eine alte Frau, vom Leben so gebeugt, dass nur ihr Stock das Gleichgewicht sicherte, ließ nicht locker. Sie fasste uns an und begann, als wir symbolisierten, dass wir nicht zahlungswillig seien, in einer Mischung aus makedonisch und französisch auf uns einzuschreien. Das um ihren Hals gehängte, orthodoxe Kreuz baumelte bedrohlich und sie schrie mich an "Tu es catholique?" - was ich verneinte. "Tu es protestant?" - auch das bin ich nicht und schüttelte den Kopf. Sie schien dennoch sehr unzufrieden und schrie - nun auf makedonisch - weiter. Sie hörte erst auf, als jemand von unserem Nachbartisch aufstand, ein Lederetui zückte und es ihr aufgeklappt vor die Nase hielt. Die alte Frau ging, weitere Flüche ausstoßend, weiter. So kamen wir mit den drei Herren am Nebentisch ins Gespräch und ich fragte den mit dem Etui, was er der Furie denn gezeigt hätte. Dragan stellte sich vor - er ist Polizist und für die Sicherheit des griechischen Konsulats in Bitola verantwortlich. Offensichtlich war die Gefahrenlage für das Konsulat nicht als erhöht eingestuft, denn immerhin konnte Dragan seelenruhig mit zwei Freunden biertrinkend in der Sonne sitzen. Er meinte, dass die alte Frau Geld einsammelt, es an Arme und Kranke weitergibt und wir ihr das nächste Mal ruhig etwas geben könnten. Sie sei nur bisweilen etwas aufbrausend.
Sein Freund schaltete sich in die Unterhaltung ein und stellte sich als Louis vor. Er sprach vollkommen akzentfrei Englisch, trug eine Ray-Ban-Sonnenbrille und ein weites Hemd, aus dem die Brusthaare nur so herausquollen. Louis erzählte, dass er seit zwanzig Jahren in Sidney leben würde und dass Sidney die schönste Stadt der Welt sei. Er käme nur noch zwei Mal im Jahr nach Bitola, um hier sein Business voranzutreiben - er importiert Gemüse, Apfelmus und noch ein paar andere Sachen aus Makedonien nach Australien. In Sidney sei er übrigens nur als Louis "The Fly" bekannt.
Copyright: Fritz Niemann
Louis "The Fly"? Sofort schossen mir Bilder unzähliger Mafiafilme in den Kopf: Joey "The Butcher", Niki "The Tooth", Jonny "The Nose" Nostramo - und eben Louis "The Fly". Louis erzählte weiter, er würde so genannt, da er in Sidney ein Geschäft für Fliegennetze hätte, was wir ihm jetzt einfach mal glauben wollen. Jedenfalls wäre Dragan, der Polizist, sein Freund und würde ihm bei seinen Geschäften helfen. Diese Aussage machte Dragan sichtlich stolz, wie es überhaupt so wirkte, als sei "The Fly" ein sehr angesehener Mann, weil er es im fernen Australien zu etwas gebracht hat. Ich fragte Dragan, ob er mir etwas über die Kriminalität in Bitola erzählen könnte. Gewaltkriminalität und Eigentumsdelikte gebe es wenig, meinte er, und alles in allem sei Bitola eine sehr sichere und ruhige Stadt. Was jedoch überhand genommen hätte, sei die Drogenkriminalität. Aus allen Himmelsrichtungen würden die verschiedenen Stimulatien und Sedativa nur so ins Land strömen: Marihuana von den Anbaufeldern im Süden Albaniens, chemische Drogen aus Griechenland, Heroin über die alte Seidenstrasse via Istanbul und Bulgarien und alle Anderen aus dem Kosovo im Nordwesten des Landes. Über die Problematik des Handels mit Menschen - insbesondere Frauen - erzählte er nichts. Wie ich gelesen habe, blieben bei eine Razzia in Bitola im Juli 2002 zwei der Bordelle der Stadt unangetastet - sie gehörten der Polizei. Am Ende unseres Gesprächs überreichte uns Dragan feierlich seine Visitenkarte und versicherte uns, dass wir ihn immer anrufen könnten, sollten wir in Schwierigkeiten geraten. Gut zu wissen.
Copyright: Fritz Niemann
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, gingen Lisa und Erik zur Arbeit und ich suchte das Büro von Macedonia Online (MOL). Wir haben in unserer Wohnung keinen Internetanschluss und ich habe neulich gelesen, dass Makedonien zum weltweit zweiten Staat mit einem flächendeckenden WLAN werden soll. Der erste ist die Inselrepublik Mihiri im Süd-Ari-Atoll. Da mich die Aussicht reizte, abends im Internet surfend vor unserem "Diplomat" genannten Kamin zu sitzen, fragte ich in meinem Lieblingsinternetcafe "Mouse" und - die freundliche Besitzerin wies mir den Weg: in einer Querstrasse des Marsal Tito liegt ein Einkaufszentrum, das den Charme einer Tiefgarage hat, aber von der Mouse-Besitzerin als "glamorous Mall" beschrieben wurde. Nach längerem Herumirren fand ich das mikroskopisch kleine Büro von MOL, in dem - unter einem Rauchverbotsschild - zwei sehr junge, rauchende Menschen saßen. Es sei alles ganz einfach, erklärten sie mir. Ich müsse ihnen meine Airport-ID geben und dann ginge alles automatisch, sogar "super". Ich gab ihnen also die ID und ging wieder nach Hause - leider war es nicht "super" und ich ging wieder zu MOL. Ja, solche Probleme gebe es manchmal, meinten die beiden. Jetzt ginge es aber sicher "super". Als ich wieder zu Hause war, funktionierte es immer noch nicht. Ich habe dann ein Buch gelesen und das war wirklich "super". Heute gehe ich wieder zu MOL - Fortsetzung folgt. Und hier endlich der Song des Tages:
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