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Leere Batterien und (fast) ein Vertragsabschluss

Copyright: Fritz Niemann
Eigentlich wollten wir heute nach Heraklea fahren, um uns dort die Ausgrabungsstätten anzusehen. Heraklea wurde im 4. Jahrhundert vor Christus von Philipp II., dem Vater von Alexander von Makedonien, gegründet. Die an der römischen Handelsstraße Via Egnetia gelegene Stadt entwickelte eine Hochkultur, die ihre Blüte im 4. und 5. Jahrhundert nach Christus hatte. Das klang alles sehr interessant. Erik, Lisa und ich setzten uns also motiviert ins Auto, doch auch nach mehrmaligem Drehen des Zündschlüssel passierte - nichts. Die Batterie hatte sich entladen. Also versuchten wir, den Wagen durch Schieben wieder zum Leben zu erwecken, was ein leider sinnloses Unterfangen war. Ein freundlicher Kellner des Restaurants De Niro, den wir um Hilfe baten, rief einen seiner Kumpels an. Der kam kurze Zeit später mit seinem Lada um die Ecke gebogen und brachte Überbrückungskabel mit. Vielleicht ist es angebrachter, von Überbrückungsfäden zu sprechen - mit seinen Kabeln konnte man sicher perfekt eine Glühbirne mit Strom versorgen, aber eine Autobatterie?
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Als der Kumpel des Kellners das Kabel aus dem Motorraum seines laut röhrenden Ladas zog, sprangen die Funken nur so und die Blicke der Umstehenden - wir wurden langsam zur Hauptattraktion eines ansonsten ereignislosen Sonntags in Bitola - wurden immer skeptischer. Für unsere beiden freundlichen Helfer war klar, was das Problem war: das Auto - ein Opel. Mit einem Toyota wäre uns das nie passiert, versicherten sie. Nach ausgedehnten Versuchen, die erfolglos bleiben mussten, lag auf der Hand, dass ein dickeres Kabel besorgt werden musste. Der Vater des Kellners hatte auch eines, aber der hielt seinen verdienten Mittagsschlaf. Also vereinbarten wir, dass wir uns in zwei Stunden wieder treffen und es mit dem Kabel des bis dahin hoffentlich erwachten Vaters noch einmal versuchen würden.
Kurz darauf trafen wir Philip, den Sohn von Wera, der Psychiaterin, deren Wohnung Lisa mieten will. Gemeinsam gingen wir zu Wera, die von ihrem Trip ins Spielcasino nach Thessaloniki früher wiedergekommen war. Es folgte wieder eine lange Verhandlung auf französisch (mit Wera) und englisch (mit Philip). Lisa hatte ein Vertragswerk in kyrillischer Schrift dabei, das lang und breit diskutiert wurde, obwohl Lisa und ich überhaupt nicht wussten, was in dem Vertrag steht, den das ATA-Büro in Skopje aufgesetzt hat. Es gab viel süßen türkischen Kaffee und endlich eine Einigung. Ich fragte Wera, weshalb sie so gut französisch spricht. Sie meinte, dass es in Bitola früher üblich gewesen sei, die Kinder französisch lernen zu lassen. Als die Stadt im frühen 19. Jahrhundert, damals wurde sie noch Manastir genannt, per Eisenbahn mit Belgrad verbunden wurde, erreichte sie ihre Blüte und wurde nach Thessaloniki zur zweitwichtigsten Makedoniens. Es gab - und gibt noch - viel Konsulate in Bitola und angeblich stand in jedem zweiten Haus ein Klavier.
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Wera erzählte dann noch, dass sie Medizin studiert hat, aber in Jura promoviert (Thema: Wiederholungstaten von Psychopathen). Heute lehrt sie als Professorin Neuro-Psychiatrie an der Universität von Bitola und ist überzeugt, dass die meisten Psychopathen frei herumlaufen ("Ils sont entre nous, partout"). Sie war zweimal verheiratet, ist zweimal geschieden und als sie mir ihr Feuerzeug überreichte (Aufschrift: Casino Bitola), fiel mir wieder ein, woran es wahrscheinlich liegt, dass sie drei Monatsmieten im Voraus haben möchte. Ihr Sohn Philip erzählte dann noch, dass er Lisa und mich im Fernsehen gesehen hätte, als dort über die Eröffnung des Multimedia-Zentrums im Romaviertel durch Professor Igor berichtet wurde. Langsam kennen uns die Leute hier. Es ist jetzt schon so, dass Lisa ständig von irgendwelchen wildfremden Menschen angerufen wird, die einen Job bei ATA haben möchten. Ganz Bitola scheint ihre Handynummer zu haben. Es ist eben eine kleine Stadt mit einer hohen Arbeitslosenquote. Nachdem wir uns von Philip und Wera verabschiedet haben - nicht ohne zu vereinbaren, morgen endlich den Vertrag zu unterzeichnen - trafen wir Erik wieder. Der Vater des Kellners war inzwischen aus seinem Erholungsschlaf erwacht, das Überbrückungskabel da und der Opel, der kein Toyota war, nach kurzer Zeit wieder zum Leben erweckt.