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Mӑrsal Tito

Copyright: Fritz Niemann
In Marokko heisst jede Hauptstrasse in jedem noch so kleinen Ort Boulevard Hassan II. - die makedonische Variante der Prachtstraße ist der Marsal Tito, wie auch die Einkaufsstrasse in Bitola heisst. Josip Broz Tito starb 1980, aber an die Zeit seiner Regentschaft erinnern sich die Menschen hier mit Wehmut, wie überhaupt häufig zu hören ist, dass die Zeiten besser waren, als Jugoslawien noch existierte. Zwar war Makedonien auch damals schon das Armenhaus der jugoslawischen Föderation, aber die Arbeitslosigkeit, die heute bei rund vierzig Prozent liegt, war weit geringer und die Korruption ebenso.
Gestern abend trafen wir Wera und Philip wieder, Lisa hatte vom ATA-Büro in Skoje den korrigierten Vertrag erhalten und wir konnten endlich bei einem erneut sehr süßen Kaffee den Vertragsabschluss feiern. So haben wir das Hotel Deniro verlassen, das ich jedem Bitola-Besucher sehr ans Herz legen möchte. Es ist sehr zentral gelegen, sauber, gemütlich und die Leute, die dort arbeiten, sprechen alle gut englisch. Das zum Hotel gehörende Restaurant Deniro hat einen schönen Wintergarten und gute Pizza aus dem Holzofen. Und wenn die Autobatterie mal leer ist, dann hat der Vater des Kellners - sollte er nicht gerade seinen Mittagsschlaf halten - garantiert auch ein Überbrückungskabel.
tito Kopie
Unsere neue Adresse heisst jedenfalls Marsal Tito 38 - wir bewohnen das Ergeschoss eines kleinen Hauses (im Bild oben) in einer Seitengasse der Einkaufsstrasse, ganz in der Nähe der Jeni-Moschee. Über uns wohnen Wera (im Bild unten, in jung und in älter), Philip mit seiner Frau und deren drei Kindern. Unser Kamin heisst "Diplomat" und im Garten liegt Feuerholz für die nächsten drei Winter. Auch in Bitola ist dieser Winter sehr mild ausgefallen - üblich sind hier Temperaturen bis minus 40 Grad und im Sommer dann das Ganze andersherum.
Copyright: Fritz Niemann
Philip ist 33 Jahre alt und in Sofia geboren, weshalb er ohne Visum in andere EU-Länder reisen darf. Makedoniern steht dieser Weg nicht offen, sie müssen sich in einer langwierigen und teuren Prozedur ein Visum besorgen, nachweisen, dass sie von einem EU-Bürger eingeladen wurden und zusichern, dass sie im Falle einer Erkrankung alle Kosten selbst tragen. Jedenfalls hat Philip - wie sehr viele Menschen hier - keinen Job, der genug abwirft, um sich, seine Frau und die drei Kinder zu ernähren. So hat er sich also - wie er uns erzählte - vor zwei Monaten auf den Weg nach Deutschland gemacht, um Arbeit zu finden. Auf die Frage, welche Arbeit er denn gesucht hätte - er ist Elektroingenieur - sagte er: "jede Arbeit". So ist er also nach Gelsenkirchen gefahren und hat dort Arbeit gesucht. Weshalb ausgerechnet nach Gelsenkirchen, wusste er auch nicht genau. Viel Industrie sei dort. Philip spricht ganz passabel Englisch, meinte aber, dass die Deutschen, die er auf Englisch angesprochen hätte, ihn zwar verstanden hätten, aber immer auf Deutsch geantwortet haben. Das hat er dann aber nicht verstanden. So ist er also einen Monat in Gelsenkirchen geblieben, hat nach Arbeit gesucht, hat die Menschen auf Englisch angesprochen und hat Antworten auf Deutsch bekommen und ist dann wieder nach Bitola zurückgefahren. Eine komplett erfolglose Mission. Auf seine Frage, wohin in Deutschland er denn fahren sollte, um Arbeit zu finden wusste ich auch keinen Rat.
Die Wohnung ist jedenfalls sehr gemütlich und auch Weras Globus - wenn auch geleert - trägt zur Atmosphäre bei.

Heute abend werde ich die Küche einweihen, worauf wir uns nach der Fleischkur der vergangenen Abende sehr freuen - sogar Olivenöl, was es in Restaurants kaum gibt, habe ich gefunden. Vielleicht schauen wir uns danach einen Film an - leider gibt es in Bitola kein Kino mehr, da auch hier der Siegeszug der Internet-Downloads den Lichtspielhäusern den Garaus gemacht hat. Gestern ging ich in einen Laden und fragte nach DVDs. Die Verkäuferin deutete auf einen Packen Rohlinge. Als ich den Kopf schüttelte und "Movies?" sagte, öffnete sie einen Schrank und holte einen großen Sack heraus. Dann stellte sie einen Stapel bereits gebrannter DVDs neben den anderen. Ich suchte mir die neuesten Werke von Clint Eastwood, Brian de Palma, Michael Haneke und noch ein paar andere aus, bezahlte 30 Denar (kapp 50 Cent) pro Stück und war nach dem Ausprobieren erstaunt: Obwohl ein Film nur in türkischer Sprache zu sehen war und ein anderer so unprofessionell im Kino abgefilmt, dass Seekrankheit drohte, waren alle anderen von bester Qualität. Sogar von einer makedonischen Firma (The End Studio) aufbereitet. Vorhang auf!